Chronik

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Hermannsburg der erste „hannoversche“ Posaunenchor gegründet. Zu Ende des 19. Jahrhunderts war die junge Posaunenbewegung, die sich über das Wirken von Louis und Theodor Harms rasch im norddeutschen Raum ausgebreitet hatte, gewissermaßen am Ende ihrer ersten Blütezeit angelangt. Es gab  etwa 100 Posaunenchöre in der Hannoverschen Landeskirche.

Im Jahre 1894 gründete Pastor Diedrich-Karl-Wilhelm-Gottfried Wentz in Gehrden den „Ev. Jünglings- und Posaunenverein ‚Immanuel‘ Gehrdewentz_Bildn“. Im Gründungsprotokoll vom 16. Oktober 1894 ist der Vereinszweck festgehalten, dass der Verein sich betätigen solle „zur Ehre Gottes, zur Förderung des kirchlichen Lebens und zur Freude der Bläser“. Man begann in Gehrden mit neun Instrumenten: fünf  Flügelhörner, zwei Tenorhörner, eine Posaune und ein Helikon (Tiefbass). Carl Sauer übernahm zuerst die musikalische Leitung, ihm folgten der Schlossermeister Bähre und danach der Lehrer Jahn sowie weitere.

Was wurde in den Anfangsjahren im jungen Gehrdener Chor geblasen? Es steht zu vermuten, dass das erste überregional verbreitete Posaunenbuch „Jubilate“ (Kuhlo I), 1881 von Eduard Kuhlo, dem Vater des späteren „Posaunengenerals“ Johannes Kuhlo herausgegeben, im Wesentlichen das Musikrepertoir der Gehrdener Bläser bestimmte und dass dann um die Jahrhundertwende das „Posaunenchoralbuch für die Provinz Hannover“ (Hille II) – speziell für den gottesdienstlichen Gebrauch gedacht – hinzukam.

Im Jahr 1926 wurde Ferdinand Kunze zum Chorleiter gewählt, der bereits sieben Jahre im Chor geblasen und auch die Chorleiterausbildung absolviert hatte. Seine Wahl sollte sich zum Glücksgriff für den Gehrdener Posaunenchor erweisen: Mit beispielhaften Engagement legte sich der junge bläserbegeisterte Schuhmachermeister ins Zeug. Zweimal wöchentlich hielt er Übungsstunden ab, allein diese Maßnahme dürfte sich schon auf das Leistungsvermögen des Chores positiv ausgewirkt haben. Hilfreiche Impulse vermittelte auch die Erweiterung der Standardliteratur in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Zu dem bewährten Hille – Choralbuch und den beiden Posaunenbüchern Kuhlo I und II trat 1923 der dritte Kuhloband. Er enthielt zahlreiche Volkslieder, daneben sogenannte Vaterlandslieder, vor allem aber anspruchsvolle Choralsätze alter Meister, vornehmlich von Johann Sebastian Bach und Johann Eccard.

PCGEHR_2Ferdinand Kunze Er leitete 45 Jahre lang den PosaunenchorFerdinand Kunze führte den aufstrebenden Bläserchor zielstrebig auch an neue musikalische Aufgaben jenseits der Gemeindegrenzen heran. Regelmäßig nahmen die Gehrdener Bläser an den alljährlich im Frühjahr veranstalteten „Marienburg-Treffen“ der evangelischen Jugend der Landeskirche teil, die als Großkundgebung auf der nahen Marienburg bei Nordstemmen stattfanden. Gottesdiensteinsätze, Missionsfester, aber auch eigenständige Bläsermusiken und Kurrendedienste im Freien bestimmten daneben die musikalischen Aktivitäten des Chores.

Wesentlich bedrohlicher als noch im 1. Weltkrieg wurden Einschränkungen und Erschwernisse für die Chorarbeit, die der 2. Weltkrieg mit sich brachte. Bis 1941 blieb der Gehrdener Chor noch intakt, aber immer mehr Bläser wurden eingezogen, die Nachwuchsarbeit musste eingestellt werden, in den letzten Kriegsjahren kam die Chorarbeit völlig zum Erliegen. Der Chor musste in seinem Mitgliederbestand schmerzhafte Verluste hinnehmen, 16 Bläser kamen aus dem Krieg nicht mehr zurück. Aber selbst in dieser schwierigen Notzeit blieb Ferdinand Kunze der geliebten Sache und dem Gehrdener Chor treu – für ihn inzwischen ein wichtiges Stück Lebensinhalt.

Posaunenchor_1939Sofort nach Kriegsende sammelte er aufs Neue blaswillige junge Männer, die die wichtige Aufgabe, anderen mit der Musik Freude zu bringen, aufnehmen wollten. Das Gehrdener Gemeindehaus war mit Flüchtlingen besetzt, doch der findige Chorleiter wusste Rat: Er stellte seine Werkstatt als Übungsraum zur Verfügung und bemühte sich mit zäher Geduld um den Wiederaufbau eines einsatzfähigen Bläserchores. Auch über die Gemeindegrenzen hinaus war man nun auf den engagierten Chorleiter aus Gehrden aufmerksam geworden: 1948 wurde er in den Landesposaunenrat der Landeskirche gewählt und stellte hier für eine ganze Reihe von Jahren seinen erfahrenen Rat zur Verfügung.

Das Kuhlo’sche Klangideal büßte im Wandel der Zeit seine Vorherrschaft ein. Aus der Wiederentdeckung und Verbreitung originaler Bläsermusik des Barock hatte sich die Hinwendung zu Trompete und Posaunen für den für die polyphone Satzkunst der alten Meister angemessenen Klangwerkzeugen ergeben, die den veränderten Vorstellungen und Zielsetzungen Rechnung trugen. Es ist Ferdinand Kunzes bleibender Verdienst, diesen grundlegenden Wertewandel der Bläserarbeit in seiner weittragenden Bedeutung erkannt und seine Gehrdener Bläser dafür gewonnen zu haben. Nicht unerwähnt bleiben darf das vorbildliche Bemühen des Gehrdener „Bläservaters“ für die Anfängerausbildung. Mit großer Treue und beispielhaftem Einsatz von Kraft und Zeit widmetet er sich Jahr für Jahr der so mühsamen wie notwendigen Ausbildung des Nachwuchses. Und es musste enttäuschend für ihn gewesen sein, wenn nicht wenige Jungbläser nach ihrer bläserischen Ausbildung dem Posaunenchor den Rücken kehrten, um sich vermeintlich attraktiveren Musikgruppen anzuschließen. So kam es Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts dazu, dass die Existenz des Posaunenchores Gehrden, wie es der bekümmerte Chorleiter in einem Brief an das Posaunenwerk mitteilte, „oft am seidenen Faden hing“. Dennoch war es gewiss das Vorbild dieses schlichten, treuen Mannes mit seinem durch Jahrzehnte hingebungsvoll geleisteten Dienst, dass die kleiner werdende Bläsergruppe zusammenhielt.

Ein neuer PiperAbschnitt für den Gehrdener Posaunenchor begann 1968, als Kantor Gottfried Piper die Leitung übernahm. Und was wurde aus dem verdienten Altchorleiter? Es spricht für ihn, dass er sich nicht etwa aufs bläserische Altenteil zurückzog, sondern dem Chor weiterhin mit seiner Trompete als aktives Mitglied Gaben und Kräfte zur Verfügung stellte. Nochmals wurde „Onkel Ferdinand“, wie man ihn inzwischen liebevoll nannte, zum Vorbild für die junge Bläsergeneration.

Der Posaunenchor erfuhr unter Piper eine noch deutlichere Verankerung im Gottesdienst. Das Konzept des damaligen Kantors war, dass jeden Sonntag eine der Chorgruppen – sei es vokal oder instrumental – im Gottesdienst mitwirken sollte. In diese Konzeption wurde natürlich auch der Bläserchor einbezogen. Neben dem traditionellen Kurrendeblasen am Vorabend des Kantatesonntags, Bläserkonzerten zu besonderen Anlässen und diakonischem Blasen im Krankenhaus wurde damit der fast allmonatliche Gottesdiensteinsatz zur „inneren Mitte“ mannighafter Bläseraktivitäten in Gehrden.

Piper baute rasch eine vielseitige kirchenmusikalische Arbeit in Gehrden auf: Instrumentalkreis, Flötenkurs, Kantorei und Jugendchor wuchsen unter seiner geschickten pädagogischen Hand zu einem leistungsfähigem Gesamtensemble heran. Der vielbechäftigte Kantor sah sich deshalb nach kompetenter Entlastung für die Bläserschaft um.

Ab 1983 übernahm vor diesem Hintergrund sukzessiv der junge Trompetenstudent Reinhard Großer die musikalische Leitung des Posaunenchores und konnte die Bläser dank seiner fachlichen Kompetenz und zielbewussten Probenarbeit bald zu einem ansehnlichen Leistungsstand führen. Zur bemerkenswert musikalischen Weiterentwicklung vergrößerte sich auch der Aktionsradius für die Gehrdener Bläser. Unter anderem beteiligte sich man mit anderen an der „Stiftsserenade“ in Wunstorf.

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Im Frühjahr 1989 folgte der „Sprung über den großen Teich“: Einer Einladung der evangelischen Partnergemeinde des Kirchenkreises Boavista in Nordbrasilien folgend, gastierte der Posaunenchor zusammen mit den Ronnenberger Kollegen während eines 14-tägigen Aufenthaltes in mehreren deutsch-evanglischen Gemeinden Brasiliens. Großer und Piper hatten ein anspruchsvolles Gottesdienst- und Konzertprogramm vorbereitet, um nicht nur Glaubensverbundenheit zum Ausdruck zu bringen, sondern auch zum Kulturaustausch zwischen den Ländern einen Beitrag zu leisten.

Schon im Spätherbst 1990 folgte eine Reise mit Konzerten Rauma Im Konzertsaal in Rauma, Finnland Der Posaunenchor in der Funktion eines Orchesters!und Gottesdienstbegleitungen nach Finnland. Ziel dieser Reise war es, bereits bestehende Kontakte zu finnischen Jugendmusikgruppen zu festigen und die finnischen Gastgebergemeinden mit der stilistischen Vielfalt deutscher Bläsertradition bekannt zu machen. Zwei Jahre später fuhr der Posauenchor der Margarethengemeinde nach Chojna, Polen (ehemals Königsberg/Neumark), wo er einen ökumenischen Festgottesdienst in der Ruine der ehrwürdigen Marienkirche bläserisch ausgestaltete.

2006 lud die evange2006_1019litauen10055 Litauenreise Oktober 2006 Am Denkmal der gefallenen Widerstandskämpfer in Vilnius (Litauen)lische Gemeinde in Kaunas die Gehrdener Bläser nach Litauen ein, die gerne angenommen wurde.

Weitere Stationen der Reise waren Vilnius, Kedaijnai und Marjampole. Hier wurden Konzerte in Kirchen durchgeführt, bei denen die Dankbarkeit und Ergriffenheit des Publikums gegenüber der vorgetragenen Musik besonders deutlich wurde.

Im Jahr0001e 1994 konnte der Posaunenchor sein 100-jähriges Bestehen feiern. Kantor Piper stellte hierzu die Festschrift zusammen.

 

 

Urkunde und Plakette

Zum Jubiläum erhielt die Bläsergemeinschaft zudem die vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker verliehene „Pro Musika-Plakette“ mit Urkunde.

 

 

WettbewerbsurkundeAll dies spornte zusätzlich an, nunmehr auch die musikalische Qualität unter noch größeren Beweis zu stellen und an Wettbewerben teilzunehmen. 2003 erzielte der Gehrdener Posaunenchor beim Niedersächsischen Orchesterwettbewerb das Prädikat der „Teilnahme mit hervorragendem Erfolg“ mit der Qualifikation zur Teilnahme am Deutschen Orchesterwettbewerb im Folgejahr.

 

Nachdem der Posaunenchor sein musikalisches Repertoire und seine Qualität konstant erweitert hatte, lag es auf der Hand, 2004 mit der CD „Spirit of Brass“ für das Publikum und spätere Generationen von Bläsern ein bleibendes Tondokument zu erstellen, aus dem hervorgehen sollte, auf welchem Stand sich der Posaunenchor Gehrden damals befand.

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Unter Reinhard Großer wurden die Bläser aus Gehrden zu einem gefragten Ensemble in verschiedenen Gemeinden der gesamten Region Hannover. Art und Anzahl der Einsätze waren vielschichtig wie nie zuvor: Evangelische, katholische und ökumenische Gottesdienste, Konzerte mit Bläsern und Orgel, sommerliche Serenaden, Dorf- und Stadtfeste, Herrenhausen Events, Festakte, Mitwirkung unter anderem bei „Wunstorfer Serenadenmusik“, „Weihnachtsträume Herrenhausen“, „Lichterfest Herrenhausen“ , „Moonlight Shopping“ in Hannover, Weihnachtsmarkt Hannover, Adventskalender Gehrden und an Rundfunkgottesdiensten. Hinzu kamen Posaunenchor-typische caritative Auftritte z.B. in Altenheimen und Krankenhäusern insbesondere zur Advents- und Weihnachtszeit.

Trotz aller Erfolge um die Jahrtausendwende stellten sich nach der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts Ermüdungserscheinungen in den Beziehungen der musikalischen Leitung mit dem Bläserchor ein. Im gegenseitigen Einvernehmen beschlossen deshalb Reinhard Großer und der Posaunenchor Gehrden, sich zu trennen. In einem feierlichen Gottesdienst wurde Großer nach 30 Jahren musikalischer Leitung im Frühjahr 2014 verabschiedet. Beim anschließenden Empfang wurden die langjährigen und hervorragenden Verdienste gewürdigt und ihm für die geleistete Arbeit Lob und Dank ausgesprochen.

Dank geschickter Umschichtungen und Umverteilungen von Aufgaben gelang es dem Kirchenvorstand der Margarethengemeinde, auf Wunsch des Posauenchores Kirchenkreiskantor Christian Windhorst als neuen musikalischen Leiter zu verpflichten. Schnell stellten sich spürbar positive Veränderungen ein. Die Zusammenarbeit mit benachbarten Posaunenchören aus Ronnenberg und Wennigsen/Barsinghausen optimierte sich in Form gemeinsamer Proben und Konzerte. Von Vorteil ist es auch, dass Christian Windhorst ebenso die musikalische Leitung der Kantorei Margarethengemeinde innehat. Bereits im ersten Jahr der Posaunenchorleitung unter Windhorst wurde ein gemeinsames Konzert von Posaunenchor und Kantorei aufgeführt. Das musikalische Repertoire vergrößerte sich ebenfalls, aktuelle Bläserliteratur der Posaunenwerke hielt Einzug in Probenabende und bei Auftritten.

Das Jubiläumsjahr 2014 begann im Februar mit einem Festgottesdienst, in dem Landesposaunenwart Henning Herzog die Verdienste des Posaunenchores in besonderer Weise würdigte. Unter Leitung von Christian Windhorst wurden die Freiluftgottesdienste (z.B. zu Himmelfahrt, beim Gemeindefest oder in der Kapellengemeinde) musikalisch gestaltet, der phänomenale Gesangsbuchmarathon begleitet und festlich die Konfirmationen umrahmt. Die Freunde des Posaunenchores Ronnenberg wurden bei der musikalischen Erklimmung des Kaliberges in Empelde unterstützt.

Nach der Sommerpause begannen die Proben für das Jubiläumskonzert. Christian Windhorst hatte ein anspruchsvolles Programm aus der gesamten Bandbreite der kirchlichen Bläsermusik zusammengestellt, von Rameau über Bach, Brahms, Mendelssohn, Kuhlo, Willcocks, Drude bis hin zu Wendel. Um dieses Programm zu bewältigen, fuhren die Bläser im November nach Wernigerode ins Probenwochenende. Am 25. Jahrestag des Mauerfalls wurde dort der Gottesdienst musikalisch begleitet – bewegende Momente für alle Beteiligten.

Am 6. Deze141206 Ehrung Mitgliedermber gab der Posaunenchor mit freundlicher Unterstützung der Kantorei und des Kinderchores sein Jubiläumskonzert, u.a. wurde dabei eine Kantate von Matthias Drude welturaufgeführt. Die Landespastorin für Posaunenchorarbeit, Frau Marianne Gorka gratulierte und dankte dem Posaunenchor Gehrden in ihrer Laudatio für die segensreiche Arbeit und ehrte langjährige Bläser für ihre Dienste. Von ihnen seien hier nur Werner Röttger, Günter Kunze, Siegfried Scheel, Jürgen Haake und Rainer Rickers genannt, die für über 50 Jahre Mitgliedschaft im Posaunenchor mit Urkunde, goldener Nadel mit Kranz und der selten verliehenen Kuhlo-Medallie gewürdigt wurden.

141206 Urkunde 120 J. PC Gehrden

Im Jahr 2014 kann der Posaunenchor bereits auf eine 120-jährige Geschichte zurückblicken.  Innerhalb dieses langen Zeitraumes gab es immer wieder Höhepunkte im Dasein dieser Bläserchorgemeinschaft, welche dokumentieren, dass hier in Gehrden die Bläserarbeit immer mit viel Freude, Entusiasmus und Einsatzbereitschaft betrieben wurde. Und das seit seiner Gründung 1894 als „Posaunen- und Jünglingsverein“ bis zum heutigen Tag.